Das filmische Off als markierte Leerstelle – Audiovisuelle Inszenierungsstrategien einer anwesenden Abwesenheit anhand des Filmes Nachthelle (D 2015)

 

Jede Einstellung eines Filmes konstruiert eine Leerstelle, durch die Wahl des Bildausschnittes fällt ein Teil des Bildes aus der Sichtbarkeit heraus und wird zum sogenannten Off. Mit Bezug auf Gilles Deleuze spricht Ute Holl von der Anwesenheit einer Abwesenheit, in einer politischen Lesart könne durch das Insistieren auf das filmische Off ein Gegenraum geschaffen werden, der etwa mit der hierarchischen Struktur traditioneller, in Totalen vermeintlich gebändigter Räume bricht. Das filmische Off kann in diesem Sinne als topografische Leerstelle aufgefasst werden, in Deleuzes‘ räumlichen Denken birgt es Orte für Nomaden. Im Gegensatz zu dieser, poststrukturalistisch geprägten, utopischen Aufladung kann das Off in meinen Augen aber auch konkreter werden, deutlich an Florian Gottschicks Film Nachthelle (Deutschland 2015). Dort wird das Off zum Ort des landraubenden Braunkohletagebaus, der sich Dörfern nähert und sie zum Verschwinden bringt. So begleiten wir die Protagonistin Anna bei ihrem letzten Besuch in ihrem Heimatdorf, welches in Kürze dem Tagebau zum Opfer fallen wird. Diese industrielle Macht bleibt dabei, ganz im Stile des filmischen Offs, weitestgehend unmarkiert: Abgesehen von einer kurzen Aufnahme wird der Tagebau dabei nie direkt sichtbar, wir nehmen ihn als Dröhnen aus einer unsichtbaren Ferne wahr oder werden indirekt Zeuge seiner Macht, wenn Häuser und Möbel durch ihn beben. Der angestrebte Beitrag will sich in diesem Sinne dem Off als Anwesenheit einer Abwesenheit annähern, anhand des Filmes Nachthelle soll nach den Prozessen gefragt werden, die ablaufen, wenn diese Abwesenheit immer weitere Teile des Sichtbaren einnimmt und so etwa Dörfer in sich auflöst. Die erste Ebene in Nachthelle ist dabei eine psychoanalytische, konfrontiert mit ihrer langsam verschwindenden Heimat werden in Anna Kindheitstraumata hochgespült. Diese Erinnerungssegmente sind tief mit der konkreten Räumlichkeit des Dorfes verbunden, wodurch es zu einer (schmerzhaften) Evaluierung ihrer Identität kommt. Wird auf dieser Ebene also das Dorf als konkret räumlicher Erinnerungsspeicher thematisierbar, zeigt sich auf ästhetischer Ebene ein unmittelbar materieller Wandel. Die verlassenen Häuser und Straßen des bald dem Braunkohletagebau weichenden Ortes werden entfunktionalisiert, sie werden zu blanken Materialitäten, stumpfen Dingen ohne sinnstiftende Erzählung. Sie werden so zur Negativfolie der sozialen Kräfte des Dorfes, ähnlich den letzten dort gebliebenen Bewohnern werden sie zu einer markierten Leerstelle, die in einem offenen Austausch mit der anwesenden Abwesenheit des Offs steht. Der Vortrag will sich entsprechend analytisch diesen beiden Ebenen des psychisch Aufgewühlten und der blanken Materialität annähern und so grundlegend nach den widerspenstigen Kräften fragen, die durch verschwindende Landschaften provoziert werden. Der Blick richtet sich so auf das Off von Bildern, auf die anwesende Abwesenheit als markierte Leerstelle.