Von Auburn nach Verna. Sterbende und blühende Dörfer in der anglo-amerikanischen Literatur des 18. Jahrhunderts

 

The Deserted Village (1770) umfasst 430 Verse in heroic couplets, paarweise gereimten jambischen Fünfhebern. In diesem langen Gedicht handelt Oliver Goldsmith vom Niedergang eines fiktiven, „Auburn“ genannten Dorfes, von der Auswanderung seiner Bewohner nach Amerika und vom Zusammenhang der Entvölkerung des Landes mit dem Luxus der Reichen, ihren Gärten, dem internationalen Handel und der Enclosure-Bewegung. Bereits in The Revolution in Low Life hatte er 1762 den durch den Earl of Harcourt veranlassten Abriss des bei London gelegenen Dorfes Nuneham Courtenay verurteilt. Es musste einem Landschaftspark weichen. Mit dem Aufstieg des Handelskapitalismus war eine Destabilisierung der politischen und moralischen Ordnung Englands verbunden, die in solchen Veränderungen der Landschaft sinnfällig wurde. Auf diese Krise der nationalen Identität reagiert der aus einem Dorf in Irland stammende Goldsmith im Sinne eines Tory-Konservatismus, der die alte Ordnung der ländlichen Gesellschaft verklärt: „Sweet Auburn, loveliest village of this plain“ (Goldsmith 1996, 287), wird als eine vorkapitalistische Gemeinschaft freier, politisch und ökonomisch unabhängiger Bürger geschildert, die ihr eigenes Land bewirtschaften und sich davon ernähren. Diese Darstellung entspricht der wohl ältesten ideologischen Besetzung des Dorfs im Sinne des klassischen Republikanismus. Die enge Verbindung von Landbau und Tugend ist seit der Antike topisch. Goldsmith, mit dieser Überlieferung wohl vertraut, greift Elemente der klassischen Pastoral- und Landdichtung auf, um das irrationale Konsumverhalten der neureichen Großgrundbesitzer seiner Zeit anzuklagen und vor dem Niedergang Englands zu warnen: „I see the rural virtues leave the land“ (Goldsmith 1996, 302). Die Behandlung des Motivs der Enteignung mag angeregt sein durch Vergils erste Ekloge, deutlicher ist jedoch der Bezug zu den Georgica, jenem Lehrgedicht, das die Landwirtschaft und die damit verbundenen Tugenden der Genügsamkeit, Frömmigkeit und Unabhängigkeit als Grundlage der Größe Roms Größe preist.
Auf der anderen Seite des atlantischen Ozeans wurde The Deserted Village ebenfalls viel gelesen; vor der Jahrhundertwende erschienen in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht weniger als elf Ausgaben. 1794 ließ Timothy Dwight, zu dieser Zeit Pastor in Fairfield, Connecticut, ein Jahr später dann Präsident des Yale College, Greenfield Hill erscheinen, ein Langgedicht in sieben Büchern. Mit dem zweiten, betitelt „The Flourishing Village“, antwortet er auf Goldsmiths Klage. Dem englischen Dorf der Vergangenheit stellt Dwight das amerikanische der Gegenwart gegenüber: „Fair Verna! loveliest village oft the west“ (Dwight 1969, 397) – dabei hatte er offenbar die eigene Kirchengemeinde, sie hieß Greenfield Hill, vor Augen. Das alte Auburn findet demnach im neuenglischen Dorf seine Fortsetzung wie das englische im amerikanischen Imperium. Nach der siegreichen Revolution reklamieren die vormaligen Kolonien die republikanischen Tugenden freier Landleute und damit die Grundlage neuer imperialer Größe für sich.