Dorfgeschichten der Sozialistischen Moderne

Workshop in Konstanz
23.-24. November 2017


Donnerstag, 23.11., Ort: Tagungsraum K7

 

15.30 Uhr
Marcus Twellmann: Einführung

 

Sozialistische Moderne und Dorfliteratur

 

16.00 Uhr
Julia Kerscher: Dorfgeschichte als Reflexionsmedium der tragischen Ökonomie. Gottfried Keller, Romeo und Julia auf dem Dorfe

 

16.45 Uhr
Konstantin Kaminskij: 1848-1917 – Bauernfrage, Sozialismus und Anarchismus zwischen den Revolutionen

 

17.30 Uhr
Yaraslava Ananka: Metaliterarischer Alltag in Dunin-Marcinkiewiczs Literarische Sorgen

 

20.00 Gemeinsames Abendessen

 


Freitag, 24.11., Ort: Tagungsraum K7

 

Sowjetische Modernisierung und Bauernfrage

 

9.00 Uhr
Eliane Fitzé: Die Sowjetunion als Bauernutopie. Alternative Zukunftsvisionen in der frühen sowjetischen Literatur

 

9.45 Uhr
Innokentij Urupin: Feder der Gerechtigkeit, Stimme der Schuld: transhistorische Bauernsprachen bei Isaak Babel’ und Johannes Bobrowski

 

10.30 Kaffee

 

10.45 Uhr
Jürgen Thaler: Auch eine Dorfgeschichte: Fedor Ivanovic Panferows Bruski

 

11.30 Uhr
Norman Kasper: Dorfgeschichte und Geschichtsdiskurs in der Literatur der frühen DDR. Ideologische und poetologische Aspekte im Gespräch

 

12.15 Uhr
E. Emeliantseva Koller: Das spätsowjetische Dorf

 

13.00 Gemeinsames Mittagessen

 

Postsozialistische Landliteratur

 

14.30 Uhr
Clemens Günther: Die Schrumpfung der Geschichte. Mikrogeschichtliche Tendenzen der sowjetischen Dorfprosa im internationalen Vergleich

 

15.15 Uhr
Gesine Drews-Sylla: Afrikanischer Sozialismus, Dorf und Tradition im transnationalen Kontext

 

16.00 Kaffee

 

16.15 Uhr
Julia Kölling: Literarische Landvermessungen. Sabrina Janeschs Roman Katzenberge

 

17.00 Uhr
Ingo Uhlig: Poetics from space. Zu einem Realismus räumlicher Intensitäten

 

18.00 Ende des Arbeitstreffens


 

Konzept:

 

Seit dem frühen 19. Jahrhundert haben die europäischen Literaturen mit großer Neugierde und Erzähllust das Dorf und die bäuerlichen Lebensordnungen zu ihrem Thema gemacht. Wie der Sozialliberalismus zeigte auch der Frühsozialismus, obwohl stärker an der entstehenden Schicht des Industrieproletariats interessiert, großes Interesse an der dörflichen Lebenswelt. In den Kreisen der russischen Intellgencija wurde das Dorf als ein Modell protosozialistischer Vergemeinschaftung diskutiert.
Im Rahmen eines Workshops an der Universität Konstanz wollen wir am 23.-25. November 2017 den Versuch unternehmen, diese bis in die Gegenwart reichende(n) Dorfgeschichte(n) disziplinenübergreifend zu beleuchten. Dabei werden literarische Erzählungen, ethnographische Beschreibungen und theoretische Konzeptualisierungen gleichermaßen Berücksichtigung finden.
Aus einer Kooperation zwischen Slawistik und Germanistik entstanden, zielt dieses Vorhaben insbesondere darauf, die Prozesse der Verflechtung und Translation europäischer kultureller Erzählungen vom Dorf in den Blick zu nehmen und die Perspektive mit Hilfe anderer literatur- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen zu erweitern. Sinologen, Agrarhistoriker und Sozialismusforscher wie andere mit diesem Thema Befasste sind herzlich zur Teilnahme eingeladen.

 

Mögliche Schwerpunkte sind:

 

1. „Dorfgeschichte“ und „Bauernroman“ in den europäischen Literaturen

 

Hier sind aktuelle Forschungsansätze der Nationalphilologien angesprochen, die ein Schlaglicht auf die internationale Verflechtung von Dorferzählungen im 19. Jahrhundert werfen können (z.B. bei Berthold Auerbach, Jeremias Gotthelf, George Sand, Thomas Hardy, Ivan Turgenev, Alexander Grigorowitsch).
Ferner sind in diesem Zusammenhang ethnographische und literarische Imaginationen der russischen Dorfgemeinde (obščina, mir) vor dem Hintergrund der Bauernfrage und der germanistischen Debatte über die Markgenossenschaft von Interesse. Sowohl die Konzeptualisierung der obščina (August von Haxthausen, Konstantin Aksakov), ihre Verhandlung in den intellektuellen Zirkeln im Rahmen volkspädagogischer Projekte (Slawophile, Westler, Volkstümler), die Kommentierung der russischen Debatten durch Engels und Marx, evolutionistische Spekulationen über einen russischen „Sonderweg“ (Michail Bakunin, Aleksandr Gercen) sowie komparative Perspektiven der angloamerikanischen Rechtsgeschichte und Anthropologie (Lewis Morgan, Henry Maine, John Phear) im Zusammenhang der britischen Kolonialgeschichte könnten hierbei Schwerpunkte bilden.

 

2. Kollektive Landwirtschaft in der sozialistischen Internationale

 

Das integrative Versprechen der frühen Sowjetregierung „Fabriken den Arbeitern, Land den Bauern!“ war zum Teil noch durch die protosozialistischen Modelle der Selbstverwaltung und Kooperation inspiriert. Bekanntlich schlug die Sowjetunion unter Stalin jedoch den Weg der Zwangskollektivierung ein. Die Kolchose als Dorfverbund und landwirtschaftlicher Großbetrieb wurde zum Modell einer verwaltungstechnisch und ökonomisch effizienten Wirtschaftsweise erhoben. Die Kollektivierungs-Propaganda brachte eine umfangreiche Literatur hervor, die im Zuge des Exports der sowjetischen Revolution samt Planökonomie und kollektiver Landwirtschaft in sozialistische Entwicklungsländer transferiert und dort auf unterschiedliche Weise angeeignet wurde.
Im zweiten Panel wird eine komparative Perspektive auf die sozialistische Dorfliteratur angestrebt. Dabei sollen sowohl der sowjetische Genrekanon als auch seine Translationen und Transformationen reflektiert werden, die in der sozialistischen Internationale des 20. Jahrhunderts mit Bodenreform und Kollektivierung einhergingen, so etwa in der DDR (Otto Gotsche, Werner Reinowski), in der Volksrepublik China (Zhou Libo, Ding Ling) wie auch in der sozialistischen „Dritten Welt“.

 

3. Postsozialistische Dörfer in der globalisierten Welt

 

Der Zusammenbruch des Realsozialismus nach 1990 hinterließ im postsowjetischen Raum „verbrannte Erde“: erschöpfte Versorgungsketten und Gesellschaften, die bis heute kaum in der Lage sind, sich an die veränderten Bedingungen der Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion anzupassen. Die seit dem 19. Jahrhundert andauernde Migrationsbewegung der Landflucht begleitet den Globalisierungsprozess und hinterlässt verwahrloste Kulturlandschaften. Gleichzeitig greift die ökologische Bewegung auf ihrer Suche nach alternativen Modellen nachhaltiger Ökonomie traditionelle Formen selbstverwalteter kommunaler Landwirtschaft auf. Wie reagiert die kontemporäre Weltliteratur auf die Geschichte der verlassenen Dörfer? Wie wird die sozialistische Kollektivierung erinnert? Und welche Zukunftsentwürfe lassen sich im Hinblick auf die Kulturgeschichte des Dorfes erkennen?