Landschaftsräume sind Handlungsräume. Nach Lefebvre konstituiert der Mensch sein Lebensumfeld durch Handlungen, Wahrnehmungen und Erinnerungen. Ergebnis dieser Handlungen sind auch bauliche Strukturen. Straßen, Wege und Schienen als Verbindungslinien und Gebäude als Knotenpunkte bilden bauliche Netzstrukturen, die wiederum Teil z.B. sozialer und kultureller Netzwerke sind. Heutige Netzwerkströme ermöglichen, dass sich je nach individueller Idealvorstellung des Lebensumfeldes an typisch ländlichen oder städtischen Strukturen bedient werden kann. Es resultieren Landschaftsräume, die nicht mehr als eindeutig urbane oder rurale Handlungsräume beschrieben werden können, sondern vielmehr als rurbane Netzräume betrachtet werden müssen.

Im Rahmen der Forschungsarbeit sollen rurbane Netzräume exemplarisch beschrieben werden, um auf diesem Verständnis aufbauend Entwürfe für aus dem Netzwerk gefallene bauliche Strukturen entwickeln zu können, die zu einer nachhaltigen Raumentwicklung beitragen.
Das Bundesland Thüringen mit seiner kleinteiligen, engmaschigen und polyzentrischen Siedlungsstruktur, in der die klaren Grenzen zwischen städtischen und ländlichen Lebensweisen nahezu aufgehoben sind, bietet dafür ein ideales Forschungslabor. Da die Entwicklung der Verkehrswege regionale Transformationsprozesse beschreibt, soll die Untersuchung der Entwicklung kleiner Bahnstrecken in Thüringen methodisches Hilfsmittel sein, um bestimmte rurbane Raumzusammenhänge beschreiben zu können.
Kleine Bahnstrecken verbinden meist Dörfer und Kleinstädte sogenannter ländlicher Regionen. Neben Rathaus, Schule und Kirche galt der Bahnhof als zentraler Austauschort, als Schnittstelle zwischen dem Lokalen dem Globalen. Heute stehen die einst repräsentativ gestalteten Gebäude jedoch leer und sind trotz Denkmalstatus häufig dem Verfall preisgegeben. Dennoch sind sie nach wie vor Teil von Netzwerken. Einerseits sind sie infrastrukturell noch häufig angebunden, andererseits sind sie nach wie vor in den Köpfen der Reisenden und Ortsansässigen verankert. Stillgelegte Bahnhofsgebäude bieten also sowohl Projektions- und Handlungsräume.

Die Forschungsarbeit, die im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojektes „Experimentierfeld Dorf“ neben literaturwissenschaftlichen Arbeiten entsteht, fokussiert das Lesen, Verstehen und Entwerfen im Sinne des Erzählens in und über Landschaften. Sowohl analytische Recherchen des Landschaftsgeschehens als auch reflexive Entwürfe für die konkreten Kotenpunkte zielen darauf ab, unser Lebensumfeld als rurbanen Netzraum zu verstehen, um als Planer darin weitsichtig und nachhaltig räumlich handeln zu können.

 

 

Maria Frölich-Kulik (Weimar)