Während die Bilderwelten des brasilianischen Kinos der 1970er bis 2000er Jahre bevorzugt die Großstädte Rio de Janeiro und São Paulo als Handlungsorte zeigten, wenden sich die Filmmacher neuerdings wieder den dörflichen Räumen zu. Auf dem Rio Film Festival 2012 hatten allein drei Filme Premiere, deren Handlungsort im Hinterland abseits der Megacities liegt:
Girimunho - Swirl von C. Campolina, Sudoeste - Southwest von E. Nunes, and Histórias que só existem quando lembradas - Found Memories von J. Murat. Von Zuschauern und Filmkritikern gleichermaßen gelobt, etablieren diese Filme eine neue Bedeutung von Ruralität, die - im Gegensatz zu den Konnotationen während des brasilianischen Cinema Novo der 1950er Jahre - nicht länger von Dürre, Gewalt und dem beklagenswerten Fehlen von Modernität geprägt ist.
Stattdessen werden die Räume des Hinterlands (ein den Großstädten nachgelagerter Bereich) als Alternativorte vorgestellt, deren Alltag lebenswerter, menschlicher und voller unerwarteter Sinneseindrücke ist. In einer inhaltlichen Lesart dieser Filme als massenkommunikatives Produkt, ist auf die wachsende Popularität der Ideen des „Guten Lebens“ und einer zunehmend erfolglosen Suche nach „Heimat“ bei der schnell wachsenden brasilianischen Mittelschicht angsichts der sich immer stärker globalisierten und technisierten Megastädte einzugehen. Ferner fragt der Vortrag danach, wodurch sich die Vlmische Ästhetik eines solchen medialen Eskapismus „auf dem Land“ auszeichnet und ob sich die inhaltliche Opposition auch ästhetisch fortsetzt. Angesichts dieser Beispiele im neueren brasilianischen Kino könnte man analog zu Sassen und Roost (1999) fragen: Ist das Dorf zum strategischen Ort der globalen Unterhaltungsindustrie geworden?

 

 

Tagung Imaginäre Dörfer | Halle | 05.09 - 07.09.2013