In dem Film Rückkehr der Störche (SK/D/CZ 2007) fährt der Linienbus nicht bis in das Dorf Runina. Die Protagonistin, Wanda aus Frankfurt am Main, muss einige Kilometer vorher an der Landstraße aussteigen. Dort sitzen im Wartehäuschen aus Wellblech zwei alte Frauen mit Kopftüchern – auf den Bus scheinen die nicht zu warten. Ein Dorfbewohner nimmt Wanda die letzten Kilometer zum Ziel mit, sein Fahrzeug: ein Leichenwagen.
Wer glaubt, in der Slowakei, besonders der Ostslowakei, noch das dörfliche Idyll zu finden, sieht sich bei der Betrachtung von Spiel- und Dokumentarfilmen aus den letzten Jahren schnell getäuscht. Auch wenn die Landschaft hier und da malerisch ins Bild gesetzt ist, markieren Bilder von fehlender Infrastruktur und schmucklosen Innenräumen die Orte als abge-schieden und rückständig; das auftretende Personal macht deutlich, dass die Dörfer vom Aussterben bedroht sind: viele Rentner und kaum einmal ein Kind auf der Straße.
Das Interessante sind jedoch die in den Filmen vorgestellten Versuche der Dorfbewohner, sich vor dem sicheren Untergang zu retten. In Nesvadbov (CZ/SK 2010) versucht der autoritäre Bürgermeister resigniert wirkende Unverheiratete im zeugungsfähigen Alter miteinander zu verkuppeln; in Osadné (SK 2009) macht sich eine Delegation aus einem ruthenischen Dorf auf den Weg ins EU-Parlament nach Brüssel und wirkt dort so deplatziert wie umgekehrt der europäische Abgeordnete in ihrem Dorf. Und auch in Runina (s.o.) spielt die Lage an der EU-Außengrenze keine geringe Rolle: Hier hat man den Menschenschmuggel als Einnahmequelle entdeckt.
Dies ist die eine Seite der slowakischen Dörfer, die die Filme zeigen. Auf der anderen Seite sieht der Zuschauer keineswegs nur Rentner, sondern sehr wohl auch Kinder, sehr viele Kinder sogar: überbevölkerte Roma-Siedlungen, eine Art Parallelgesellschaft, der sich einige Filme auf unterschiedliche Weise nähern, z.B. Zigeuner (D 2007), Rückkehr der Störche (s.o.) und Cigán (CZ/SK 2011). Verlassene Häuser und öde Straßen hier – überfüllte Baracken und unbefestigte Wege dort, und kaum  Berührungspunkte zwischen beiden Welten, auch im Film nicht; eine unsichtbare Grenze unweit der „echten“ Grenze.
Der dokumentarische Charakter einiger Filme sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass all dies immer auch perspektivische Blicke sind. Das moderne, „städtische“ Medium Film begibt sich an Orte, in die sich kaum je ein Tourist verirrt, und bringt den städtischen Blick auf seine ländlichen Bildobjekte unweigerlich mit, auch dort, wo auf Figuren von außen („Fremde“) verzichtet und scheinbar „rein dokumentarisch“ erzählt wird. Erzählt wird allemal.

 

 

Tagung Imaginäre Dörfer | Halle | 05.09 - 07.09.2013