Die populäre ARD-Fernsehreihe Tatort mit dem ,Dorf' in Verbindung zu bringen, scheint auf den ersten Blick wenig naheliegend. Bemerkenswert für die Tatort-Produktionen ab der Jahrtausendwende ist dennoch eine über alle Sender hinweg quantifizierbare Entgrenzung der Handlungsorte in einen ländlichen Raum, einerseits durch eine Ausweitung der Ermittlungsstandorte auf rurale Regionen, andererseits durch gelegentliche Ausflüge städtischer Ermittler in dörflich-ländliche Mikrokosmen. Mit der Einbettung des Formats in das föderalistische Rundfunksystem der ARD ist im Tatort ein Spiel mit lokalen und regionalen Charakteristika für die narrative Strategie von vornherein zwar implizit verankert, Regionalismus wird aber erst ab den 1990er Jahren zum intendierten Sendekonzept und stilbildenden Merkmal der „Republik im Fadenkreuz" erhoben, ganz im Sinne des kulturwissenschaftlichen ‚spatial turn'. Die Tendenz zur „Provinzialisierung" der Reihe korrespondiert darüber hinaus etwa mit dem ebenfalls seit der Jahrtausendwende einen populären Aufschwung erlebenden Regionalkrimi, wobei letzterer nicht den Rezeptionsansprüchen eines überregionalen Stammpublikums verpflichtet ist. Der Tatort steht mit der Profilierung und Präsentation bestimmter Regionen zudem als ‚Heimatfilm im Krimigewand' ganz im Trend des seit der Jahrtausendwende wiederbelebten neuen deutsche Heimatfilms. Die Fragen nach
Heimat und Identität sind in der Wiederentdeckung des ländlichen Raumes durch das populäre Genre im Vergleich zu früheren Konjunkturen allerdings um globale Fragen erweitert. Auch die Darstellung des Ländlich-Dörflichen als Interaktionsraum im Tatort entzieht sich einem dichotomen makroperspektivischen Blick, von dem aus die Provinz als vermeintlich vormodernes Gegenmodell dem urbanen, aufgeklärten und multikulturellen städtischen Raum entgegensteht. Vielmehr steht der dörfliche Mikrokosmos als Handlungsraum im Zeichen „glokalisierter" Entwicklungen (Robertson). Der Modus der Grenzüberschreitung im ländlichen Tatort führt zur Verschränkung von
Handlungsräumen und eröffnet durch „die Bewegungen selbst und die Relationen zwischen verschiedenen Orten" eine „Topographie der Provinz", die eine vermeintliche Heimat unter ethnographisch-fremden Gesichtspunkten in den Blick nimmt, so dass diese „selbst als fremd erscheinen kann und muss." (Struck)


Der geplante Beitrag zeichnet in einem ersten Schritt anhand ausgewählter Einzelfolgen dreier größerer Sendeanstalten (Bayrischer Rundfunk, Norddeutscher Rundfunk, Südwestrundfunk) jeweils eigene Ausgestaltungen und Traditionsbezüge für einen dörflichen Handlungsraum nach und fragt auch vor dem Hintergrund fernseh- und programmgeschichtlicher Überlegungen nach Voraussetzungen dafür, dass der Tatort „aufs Land geht". In einem zweiten Schritt werden Darstellung und Funktion des Dörflich-Ländlichen selbst in den Blick genommen und es soll aufgezeigt werden, dass dieser Raum nicht länger als Gegenmodell oder Nicht-Stadt fungiert, sondern eine Eigenlogik entwickelt, indem etwa die Landschaft selbst eine eigene Aufmerksamkeit erfährt.

 

 

Tagung Imaginäre Dörfer | Halle | 05.09 - 07.09.2013