Im Beitrag wird aus der Sicht der Geopoetik der Roman »Engel des Vergessens« (2011) von der Kärntner Slowenin Maja Haderlap (1961) dargestellt. Für dieses auf Deutsch geschriebene Romandebüt hat die Autorin mehrere Auszeichnungen bekommen, u. a. den Ingeborg-Bachmann- Preis 2011 und den Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch des Jahres 2011. Die Romangeschichte ist stark autobiographisch geprägt und aus der Perspektive der Ich-Erzählerin, die in Folge des Romans von einem sechsjährigen Mädchen zu einer in Wien humanistisch ausgebildeten Frau herangewachsen ist. Nach Aussage der Schriftstellerin wurde der Roman als eigene Therapie geschrieben, man kann ihn aber auch als Dorf- und Landschaftserzählung, Bildungsroman, Familienchronik oder als Geschichtserzählung lesen.

Die Ich-Erzählerin gehört − so wie die Schriftstellerin − zur slowenischen Minderheit in Österreich und wächst in den 60-er Jahren in dem entlegenen zweisprachigen Alpendorf Lepena (Leppen) bei Eisenkappel in Kärnten an der heutigen Grenze zu Slowenien auf. Das Leben auf dem Bauernhof im Tal Lepena (Leppen) zwischen den Wäldern, Bächen und Teichen aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ist eine brüchige Dorfidylle, obwohl auch die Volkstradition und die ethnographischen Themen im Roman bedeutende Rollen haben. Das zeigt sich zum Beispiel in der Sorge für die »richtige« Erziehung der kleinen »kokica« auf dem Bauerndorf, wie das Mädchen genannt wurde, die ihre Großmutter übernommen hat. Sie macht ihre Enkelin mit den typischen Bräuchen, Aberglauben, Tänzen, Volksliedern, katholischen Gebeten, Schutzengelglauben als auch mit der Gastfreundschaft, der Liebe zur Natur und zur Einfachheit vertraut. Das Leben auf dem Bauernhof und die Volkstradition werden immer mehr durch die verschwiegene Geschichte der Kärntner-Partisanen überlagert, weswegen jegliche Idylle für das Mädchen, ihre Familie und die Kärntner-Slowenen unmöglich ist. Immer wieder hört sie, wie die Nazis und ihre Helfer auf der Suche nach Tito-Partisanen ganze Familien der Kärntner-Slowenen deportiert, gefoltert oder ermordet haben, der völlig traumatisierte Vater war der jüngste Partisan, die Großmutter war im KZ Ravensbrück. Rundherum sind Erinnerungen an die Ermordeten, deswegen ist auch die Wahrnehmung der Landschaft anders geworden. In den Wald gehen, zum Beispiel, bedeutet nicht einfach in den Wald gehen. Der Beitrag will auf die Konstruiertheit der Landschaft und der Topographie durch die geschichtlichen und politischen Geschehnisse hinweisen, was das normale Leben sowie die natürliche Idylle verhindert hat.

 

 

Tagung Imaginäre Dörfer | Halle | 05.09 - 07.09.2013