„Immer schneller die Zeit." Der Verlust dörflicher Strukturen und die veränderte Zeitwahrnehmung in Peter Kurzecks Vorabend

Christoph Seifener

 

Peter Kurzecks auf insgesamt zwölf Bände angelegtes autobiographisches Erinnerungswerk „Das alte Jahrhundert" ist sicherlich eines der ambitioniertesten Romanprojekte der deutschen Gegenwartsliteratur. Der fünfte Band der Chronik, Vorabend, 2011 erschienen, thematisiert vor allem den Einbruch des 'Fortschritts' in einen dörflich geprägten Raum in den 1950er und 60er Jahren. Detailliert schildert Kurzeck, wie die Errungenschaften der Moderne das Gesicht des Ortes, in dem der Ich-Erzähler seine Kindheit und Jugend verbracht hat, und die Lebensweisen seiner Bewohner verändert haben.


Kurzecks Intention, „Die ganze Gegend erzählen, die Zeit!", bezieht sich dabei zum einen vordergründig auf die Darstellung der Orte seiner Erinnerungen, das Dorf Stauffenberg und die Wetterau, und den Zeitraum, auf den sich die Erinnerungen erstrecken, die ersten drei Jahrzehnte der Bundesrepublik. Sie verweist darüber hinaus aber auch auf eine für Kurzeck ganz wesentliche Konsequenz aus dem Verlust dörflicher Strukturen, auf eine veränderte Zeitwahrnehmung der Dorfbewohner und deren Folgen nämlich.


Genau dieser Aspekt leitet das Erkenntnisinteresse des geplanten Vortrags. Es soll aufgezeigt werden, inwieweit Kurzeck zwei bekannte literarische Topoi, den Zusammenhang zwischen fortschreitender Urbanisierung und Beschleunigung der Zeitwahrnehmung einerseits, und Erinnern und Erzählen als Strategien, der immer schneller vergehenden Zeit entgegenzuwirken, andererseits, miteinander verbindet und so neu gestaltet. Indem Kurzeck im Prozess des Erinnerns und Erzählens Vergangenheit explizit nicht nur rekonstruiert, sondern die Räume seiner Kindheit neu entstehen lässt, schafft er tatsächlich ‚imaginäre Dörfer'.