die dörfer fort die bagger
blieben wittern faulen
langsam in die erde

Wolfgang Hilbig

 

Bereits im 18. Jahrhundert wurde im mitteldeutschen Revier mit dem Abbau von Braunkohle begonnen. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Förderung auf Großtagebaue ausgedehnt. Da die Braunkohle für die spätere DDR der wichtigste Energieträger war, stiegen die Fördermengen rapide an und das Land avancierte zu einem der größten Förderer der Welt. Damit verbunden war eine gewaltige Verwandlung der betroffenen Gebiete. Teils über Jahrhunderte gewachsene (anthropogene) Landschaften mussten den Tagebauen weichen. Was sich nach der Überbaggerung bot, wird und wurde oftmals lapidar als "Tagebaulandschaft" bezeichnet, wobei sich die Frage aufdrängt, ob diese hinterlassenen Flächen überhaupt noch als "Landschaften" zu verstehen sind, sind sie doch lediglich industrielles Wasteland und letztlich das Ergebnis komplett vernichteter Landschaft.

 

Da bereits weitestgehend renaturiert, sind die zerstörten Gebiete der Schwerindustrie heute zu großen Teilen nur noch vermittelt wahrnehmbar. Aber auch über Literatur, Malerei und Fotografie lässt sich das ästhetische Raumbewusstsein wiederherstellen und es kann somit rückwirkend ein veränderter Landschaftsbegriff entworfen werden.
Anhand existierender ästhetischer Landschaftsbegriffe soll der Terminus der "Nicht-Landschaften" gebildet werden, dessen Dimension sicherlich weit über die zu beschreibenden Tagebaulandschaften hinausgeht, an ihnen jedoch exemplarisch entwickelt werden soll.

 

Wolfgang Hilbig bildet den - im Rahmen dieser Untersuchung festgelegten - Anfang ästhetischer Auseinandersetzungen mit den Braunkohletagebauen. Teile seiner Lyrik (erinnerung an jene dörfer, 1972; das meer in sachsen, 1977) als auch seiner Prosa (Alte Abdeckerei, 1991) nehmen eindeutig Stellung zu der sich verändernden Landschaft seiner Zeit. Fast parallel zu Hilbigs poetischem Werk entstanden verschiedene Malereien Wolfgang Mattheuers. Auch sie beziehen kritisch Stellung zur Verwüstung jenes Terrains (Freundlicher Besuch im Braunkohlerevier, 1974; Oh, Caspar David..., 1975).
Kurz nach der Wiedervereinigung fotografierte die Künstlerin Inge Rambow die verlassenen Tagebaue der ehemaligen DDR (Wüstungen. Fotografien 1991 - 1993). Ihre Bilder legen das Ausmaß der Zerstörung offen. In Aufnahmen, die den Betrachter zunächst an die Grand Canyons oder Wüstengebiete jenseits des Mittelmeeres erinnern, vermag es das Medium der Fotografie - trotz subjektiven Arrangements und Bildausschnitten - (nahezu) unverfälscht Auskunft über die Dimensionen der Zerstörung zu geben.
Schließlich ist es der Leipziger Maler Neo Rauch, welcher in seinen Bildern immer wieder fragmentarische Bezüge zur Historie der Leipziger Landschaft herstellt (Waldmann, 2004), gleichzeitig aber auch den Prozess der Erneuerung abbildet (See, 2000).

 

Über diesen Korpus, der einen Ausschnitt der Geschichte dieses Gebietes nachzeichnen soll, kann zunächst die Veränderung der Landschaft nachvollzogen werden, simultan können aber auch die verschiedenen ästhetischen Darstellungsweisen charakterisiert werden. Durch ihre starke Bindung an klassische Konzepte der Landschaftsabbildung (Naturlyrik, romantische Landschaftsmalerei) erfolgt ein bewusster Bruch, weichen doch die Motive stark von denen tradierter Darstellungen ab. Gerade diese Ambivalenz zeigt, dass diesen Werken bereits eine unausgesprochene Idee der Nicht-Landschaften inhärent ist.

 

Martin Ehrler, M.A. (Halle-Wittenberg)