Die Filme des ungarischen Regisseurs Béla Tarr sind dafür bekannt, dass sie eine ganz spezifische Endzeitstimmung verströmen. Ganz besonders gilt dies jedoch für den siebenstündigen Epos Satanstango (1994) und für Tarrs vermeintlich letzten Film Das Turiner Pferd (2011). Dies kommt nicht allein durch die tristen Landschaften zum Ausdruck, sondern auch durch die in sie gesetzten – man kann vielleicht auch sagen: ihnen ausgesetzten – Menschen.


In The city out of my window. 63 views on New York (2009) stellt der Illustrator Matteo Pericoli immer andere Formen und Gestalten einer Stadtlandschaft zeichnerisch dar. Landschaften sind, so der Philosoph Martin Seel (1996), „geschehende Räume", „die weder überschaut noch durchmessen werden können" (S. 62). Der Raum einer Landschaft „hat weder Rand noch Grenze" (ebd.) – gerade dies führt aber zur Notwendigkeit, das Unbegrenzte zu begrenzen. Wobei Pericoli zugleich deutlich macht, dass diese Begrenzungen immer aus einer bestimmten Perspektive erzeugt werden: Der Zeichner blickt aus dem Fenster, dessen Rahmungen er mitzeichnet. Der Stadtlandschaft wird eine Form gegeben, die zugleich darauf verweist, aus welcher Perspektive sie erschaffen wurde.


Auch bei Béla Tarr sitzen die Protagonisten stunden-, ja ein Leben lang am Fenster und beobachten die Landschaft. Doch sehen sie nur eines: das Immer-Gleiche. Eine karge, gott- und (bald) auch menschenverlassene Öde. Es ist hier nicht mehr der Mensch, der die sich ihm eröffnende Landschaft verstehend und gestaltend formt – die Landschaft formt ihn. Und sie setzt ihn der ständigen Wiederholung aus. Tarr zeigt dabei Räume, in denen es keine Geschichten mehr gibt. Daher spricht auch der französische Philosoph Jacques Rancière in seiner jüngst in Deutschland erschienen Publikation zum Werk Béla Tarrs von der Zeit danach (2013) – in der das rein Materielle (und daher: räumliche) zum bestimmenden Element wird: „Die Zeit danach ist weder diejenige der wiedergefundenen Vernunft, noch diejenige der erwarteten Katastrophe. Es ist die Zeit nach den Geschichten, die Zeit in der man sich direkt für das sinnliche Gewebe interessiert, durch das sich die Geschichten ihre Abkürzungen zwischen einem geplanten und einem eingetroffenen Enden bahnen [...] Es ist die Zeit, in der man sich für das Warten selbst interessiert" (S. 80). Der Mensch erscheint hierbei nicht mehr als ein raumgreifender und raumbehauptender. Es ist nunmehr der gleichförmige Raum und die an ihn gebundene (von ihm hervorgebrachte?) gleichförmige Zeit, die durch den Menschen hindurch gehen.

 

 

Tagung Imaginäre Dörfer | Halle | 05.09 - 07.09.2013